Vernetzt und digital – Fahrräder sind mehr als Drahtesel
Cloppenburg – So sehen Statussymbole aus: Ein modernes Trecking-Bike, schicke Zweifarbenlackierung, die Komponenten für die elektrische Unterstützung geschickt im Rahmen untergebracht. Es gibt Schnittstellen fürs Smartphone, das per App Ladestationen anzeigt – oder Umsteigemöglichkeiten in den Zug.
Digitalisierung, Vernetzung, Integration – diese Schlagwörter gelten nicht nur fürs Auto, sondern immer mehr auch fürs Fahrrad. Von diesem Trend profitiert die Traditionsmarke Kalkhoff, die seit 100 Jahren in Cloppenburg Fahrräder baut.
Von der Gründung einer Firma bis heute
1919 gründete der damals 16 Jahre alte Landbriefbote Heinrich Kalkhoff seine Firma. Heute arbeiten im Stammwerk in der niedersächsischen Kreisstadt mehr als 900 Menschen. Inzwischen ist die Marke Teil der Unternehmensgruppe
Derby Cycle, die wiederum seit 2012 Teil des niederländischen Familienunternehmens Pon ist. Der Mutterkonzern setzt jährlich 5 Milliarden Euro um und beschäftigt weltweit 13.000 Menschen. Die Fahrradsparte PonBike gehört eigenen Angaben zufolge zu den fünf größten Fahrradherstellern.
Auch heute noch bedeutet die Fahrradproduktion viel Handarbeit. Wenn die Rohrahmen aus dem 12.000 Teile umfassenden Lager geholt werden, werden sie zunächst von Mitarbeitern gerichtet, damit sie nicht krumm und verzogen in die Produktion gehen. «Sonst könnten Sie keinen Lenker und keinen Vorderbau richtig einbauen», sagt Unternehmenssprecher Arne Sudhoff.
Handarbeit und wenig Zeitarbeit
Anschließend kommen die Rahmen in die Lackiererei. Trotz Maschinen, die sie automatisch grundieren, ist bei der Lackierung noch viel Handarbeit nötig, gerade für eine Zweifarbenlackierung. Ebenso geht bei der Zusammensetzung des Lenkers oder der Beschriftung ohne menschliche Hände nichts. Auch bei der Endmontage lassen sich die langjährigen Mitarbeiter nicht von Robotern ersetzen: Auf großen Bildschirmen sehen sie, welche Teile sie wo an die Räder montieren müssen. Die Belegschaft sei erfahren. «Werkverträge haben wir nicht, sondern arbeiten hauptsächlich mit fest angestellten Mitarbeitern und haben auch nur sehr wenig Zeitarbeiter», sagt Sudhoff.
Der große Aufwand bei der Produktion eines Rades hat seinen Preis – und die Radhersteller in Deutschland profitieren davon, dass die Kunden in Deutschland seit Jahren immer mehr Geld für ihre Zweiräder ausgeben. 2018 lag der Durchschnittspreis für ein Fahrrad in Deutschland bei 756 Euro, was eine Steigerung um 7,1 Prozent im Vorjahresvergleich bedeute, sagt David Eisenberger vom Zweirad-Industrieverband. Mit 4,18 Millionen Rädern und E-Bikes lag der Absatz im vergangenen Jahr um 8,6 Prozent über dem des Vorjahres. Der Umsatz mit Fahrrädern und E-Bikes betrug 3,16 Milliarden Euro – ein Plus von rund 16,3 Prozent. «In diesem Jahr wird sich der Trend aller Voraussicht nach fortsetzen», erklärt Eisenberger.
Markt birgt mehr Potenzial
Das Rad ist offensichtlich ein neues Statussymbol geworden. Damit eröffnen sich Zusatzgeschäfte für die Hersteller, denn nun werden über die Händler auch Finanzierungs- oder Leasingverträge vermarktet. Oder Versicherungen. Und: Inzwischen erhalten immer mehr Arbeitnehmer über ihre Arbeitgeber Diensträder. In dem Markt stecke noch viel Entwicklungspotenzial, sagt Eisenberger.
Für Hersteller wie Derby Cycle bedeute dies, dass auch die Schulung der Händler immer wichtiger werde, sagt Unternehmenssprecher Sudhoff. Seit 2015 biete das Unternehmen Dienstradleasing und Versicherungen an und arbeite inzwischen mit einem E-Bike-Sharing-Dienstleister zusammen. In diesem Jahr sei dafür eigens eine Tochtergesellschaft gegründet worden.
Nachfrage von E-Bikes steigt rasant weiter
Ein Umsatztreiber sind Pedelecs, Fahrräder mit Elektrounterstützung, die seit mehr als zehn Jahren auf dem Markt sind. Ursprünglich waren sie vor allem bei älteren Kunden beliebt. Inzwischen greifen aber auch jüngere Kunden gerne zum Fahrrad mit Elektrounterstützung, auch bei sportlichen Rädern wie Mountainbikes oder Rennrädern. Jedes zweite Rad, das in Cloppenburg produziert werde, sei ein Pedelec, sagt Sudhoff.
Insgesamt seien noch drei Viertel aller verkauften Fahrräder ohne Elektrounterstützung, teilte der Verband mit. Aber der Anteil der E-Bikes steigt rasant.
Viel Luft nach oben trotz natürlicher Grenze
Alles in allem spielt die Diskussion über Klimawandel, Verkehrswende und Mobilität ohne Auto dem Rad in die Karten. Dennoch sehen sowohl der Branchenverband als auch der
Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club in Deutschland noch viel Luft nach oben, wenn es um den Ausbau der Fahrradinfrastruktur geht. «Die Radwege in Deutschland sind so schlecht und spärlich gesät, dass dem Wachstum des Radverkehrs hier eine künstliche Grenze gesetzt ist», sagt ADFC-Sprecherin Stephanie Krone. Das Privatauto sei auf dem absteigenden Ast, die Bedeutung des Fahrrades werde aber wachsen.
(dpa)