Philipp Wollscheid: «Hat sich nie wie ein Traum angefühlt»
Wadern – Beenden Ex-Profis oder sogar frühere Nationalspieler ihre Karriere, tun sie dies gerne mit Pomp und Getöse. Abschiedsspiel, Ehrenrunde, jede Menge Tränen. Philipp Wollscheid hat seine Karriere bis heute nie für beendet erklärt.
Dabei ist er schon vor zwei Jahren zurückgetreten. «Am Anfang wollte ich das alles erstmal mit mir selbst ausmachen», sagt der zweimalige Nationalspieler im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur lächelnd: «Und irgendwann habe ich dann nicht gewusst, ob das überhaupt noch jemanden interessiert.»
Dass der ehemalige Innenverteidiger den Profi-Fußball mit 28 Jahren durch die Hintertür verließ, ist konsequent. Schließlich kam er auch durch die Hintertür herein. Erlebte eine erfolgreiche Karriere. Und hatte nach acht Jahren die Nase voll. «Ich habe die ganze Bandbreite der Emotionen in diesem Geschäft zu spüren bekommen», sagt er. Dass er seit seinem Karriere-Ende schon erfolgreich ein Sportmanagement-Studium in St. Gallen und auf Schalke absolvierte und für ein Führungsamt beim Saarländischen Fußball-Verband kandidiert, festigt das Bild von einem ungewöhnlichen Profi.
Ein Jugendleistungszentrum hat Wollscheid nie besucht. Als er 20 ist, steigt er mit Saarbrücken in die Regionalliga auf. Und kriegt erklärt, dass diese für ihn eine Nummer zu groß sei. Er wechselt in die 2. Mannschaft nach Nürnberg. Wird von Trainer Dieter Hecking zu den Profis hochgezogen, wechselt für sieben Millionen nach Leverkusen, spielt Champions League, wird Nationalspieler und geht zu Stoke City in die Premier League. Eine Traum-Karriere. Denken viele.
«Wie ein Traum hat es sich nie wirklich angefühlt», gibt Wollscheid zu. «Es sieht von außen so aus, weil man viel Geld verdient und viel Anerkennung bekommt. Aber für mich war es die meiste Zeit über einfach nur ein Job.» Das Fußballspielen selbst habe er «immer geliebt», versichert er. «Das dauerhafte Unterwegssein, Trainingslager und die Entfernung von Partner, Familie und Freunden schon weniger.» Am ständigen Druck lag es nicht, versichert er. «Das hat mir wenig ausgemacht. Aber das Geschäft im Allgemeinen ist einfach falsch. An einem Tag wird man von allen in den Himmel gelobt, am nächsten ist man dann nicht mehr gut genug. Dieses Auf und Ab habe ich nie gut ausgehalten.»
Auf die Frage, ob er stolz auf das Erreichte sei, sagt Wollscheid: «Ich glaube, dass mehr möglich gewesen wäre.» In Nürnberg und Leverkusen hat er gute Zeiten. Leverkusens Sportchef hat ihn keineswegs negativ in Erinnerung. «Ganz im Gegenteil», sagt Rudi Völler der dpa: «Philipp ist ein Super-Typ. Bei uns war er offen, kommunikativ, freundlich. Irgendwann hat er weniger gespielt und hat sich verändert. Aber das ist in dem Geschäft normal.»
Danach verlaufen Leihgeschäfte in Mainz und Wolfsburg frustrierend, in Stoke ist er wieder Stammspieler in der besten Liga der Welt. «Doch dann wollte ich eine Verletzung in Deutschland behandeln lassen», erzählt er: «Das wurde mir im Verein krumm genommen und von da an wollte man mich loswerden.» In Metz sei er «zum Politikum geworden», da seine Verpflichtung vom Präsidenten und ohne Einbeziehung anderer Mitarbeiter beschlossen wurde.
Im Dezember 2017 zieht er die Notbremse. «Ich habe auf eine Vertragsauflösung gedrängt, obwohl ich wusste, dass ich in Europa in dieser Saison für keinen Verein mehr spielen darf», berichtet er: «Ich war froh, mal ein halbes Jahr raus zu sein und mir Gedanken machen zu können.» Er hat gemerkt, dass er nicht mehr zurück will. Sein Berater habe Angebote von Aufstiegs-Kandidaten aus der 2. Liga und Erstligisten aus verschiedenen Ländern bekommen, «aber ich habe immer abgewunken. Hätte ich das alles ohne Emotionen machen können, hätte ich wahrscheinlich noch sechs Jahre weitergespielt. Aber ich habe gemerkt, dass ich nur noch zur Arbeit gefahren wäre, um Geld zu verdienen. Und da habe ich mir gesagt: Das kann es nicht sein.»
Auch so hat Wollscheid genug verdient, um sich für die weitere Berufsauswahl Zeit zu lassen: «Ich habe mit 30 sicher einen leichteren Start ins Berufsleben als andere nach einem Studium», sagt er: «Das ist ein Privileg.» Aktuell beschäftigt er sich mit Immobilien-Entwicklung.
Eine Rückkehr in den Fußball ist nicht ausgeschlossen. «Vielleicht als Funktionär, vielleicht als Trainer», sagt er. Trainer? Nach all den Erfahrungen? Ja, sagt er, gerade deshalb. «Ich will es anders machen. Ich will – wie einige wenige, die ich hatte – der Trainer sein, der die Spieler aufrichtig und korrekt behandelt. Manchmal werde ich auch keine Erklärung für ein Bauchgefühl liefern können, aber ich kann den Spielern das Gefühl geben, sie ernstzunehmen.» Profi-Trainer zu sein, könne er sich eher nicht vorstellen.
Am Montag spielte Wollscheid in der neu gegründeten All-Star-Mannschaft des Deutschen Fußball-Bundes und rettete durch sein Tor in letzter Minute das 3:3. «Eigentlich habe ich da ja nix verloren, aber offenbar brauchten die jemanden, der noch ein bisschen laufen kann», sagt Wollscheid mit einem Lachen.
(dpa)