Nadal nach US-Open-Wahnsinn nun vor schwerem Halbfinale
New York – Lange schloss Rafael Nadal um 2.03 Uhr am Mittwochmorgen im Arthur-Ashe-Stadium die Augen, streckte mit geballten Fäusten die Arme gen Himmel und genoss den Triumph in einem Wahnsinnsmatch.
Im 4:49 Stunden langen US-Open-Viertelfinale gegen den Österreicher Dominic Thiem demonstrierte der Tennis-Weltranglisten-Erste in New York, warum er in anderthalb Jahrzehnten zu einem der Größten in der Geschichte dieses Sports aufgestiegen ist.
«Ich habe immer die Leidenschaft, weiterzumachen, noch einen Punkt zu spielen, noch einen Ball zu holen», erklärte Nadal nach dem ultimativen Schlusspunkt, dem Tiebreak des fünften Satzes. «Ich sage mir: Du kannst noch etwas mehr. Nur so bin ich geworden, was ich heute bin.» Diese Einstellung rettete den Titelverteidiger nach einem kapitalen Fehlstart in der schwül-warmen Nachtluft auch beim 0:6, 6:4, 7:5, 6:7 (4:7), 7:6 (7:5). Die noch verbliebenen Zuschauer riss es angesichts der riesigen Spannung und grandioser Ballwechsel immer wieder von den Sitzen – unter ihnen auch Schauspieler Ben Stiller, der zur Nachtstunde in Nadals Box mitfieberte. Im dritten Anlauf gewann Nadal erstmals ein Grand-Slam-Match, in dem er den ersten Satz mit 0:6 verloren hatte.
«Tennis ist manchmal grausam. Das Match hatte keinen Verlierer verdient, aber es muss einen geben», sagte Thiem nach dem ersten epischen Match seiner Karriere auf großer Bühne gegen einen ganz Großen der Branche. Bis zum 5:5 im Tiebreak war alles offen, beim Matchball von Nadal setzte der 25-jährige Niederösterreicher einen Schmetterball ins Aus. «Die Niederlage ist böse – richtig, richtig bitter», sagte Thiem nach der hauchdünn missglückten Revanche für das verlorene French-Open-Finale gegen Nadal. Bei der Gratulation habe er Thiem gesagt, dass es ihm leid tue, berichtete der Spanier. «Ich glaube nicht, dass es ihm wirklich leid tut», meinte Thiem grinsend.
Der Weltranglisten-Neunte wünscht Nadal nun den Titel. Doch der 32-Jährige hat jetzt schon das dritte schwere Match nacheinander in den Knochen – und im Halbfinale am Freitag wartet der bislang bärenstarke Juan Martin del Potro. Gut für Nadal: Er hat davor zwei Tage Pause. «Das gibt mir die Chance, bei hundert Prozent zu sein», räumte er ein.
Den langen Argentinier schlug er voriges Jahr in Flushing Meadows im Semifinale. Im French-Open-Halbfinale vor drei Monaten war Del Potro müde von den Matches zuvor. Zuletzt im Wimbledon-Viertelfinale ging es dagegen über fünf Sätze. «Das könnte genauso ein Kampf werden», sagte der in Bestform befindliche Del Potro nach seinem Viertelfinale gegen den Amerikaner John Isner. Auf dem Weg zum Titel in New York vor neun Jahren ließ der jetzt 29-Jährige Nadal im Halbfinale keine Chance.
Nadal weiß, dass er Del Potro nur in bester Verfassung und Höchstform bezwingen kann. Die letzten drei Sätze gegen Thiem seien ein Schritt auf dem Weg dahin gewesen, sein Level im Turnier zu steigern, sagte der dreimalige US-Open-Champion. Im direkten Vergleich führt er 11:5 gegen den Südamerikaner mit der mächtigen Vorhand.
Thiem wird dann vielleicht schon über die erste Enttäuschung hinweg sein. «In zwei, drei Tagen werde ich es sicher genießen, wenn ich mir die Highlights ansehe», sagte er. Davon gab es reichlich. Boris Becker, der vor dem Match den Münzwurf am Netz vornahm, sprach als TV-Kommentator bei Eurosport von zwei Siegern und huldigte dem Gewinner: «Nadal hat das Unmögliche möglich gemacht.»
(dpa)