Kein Mieter ist automatisch vor Eigenbedarf geschützt

Berlin – Ins eigene Haus einziehen? Wer ein vermietetes Gebäude kauft oder selbst den Vertrag eingefädelt hat, kann das nicht so einfach. In Deutschland ist der unbefristete Mietvertrag weit verbreitet.

Bei ihm kann der Vermieter nur aus berechtigtem Interesse kündigen. Oft ist das Argument Eigenbedarf. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Stellschrauben dafür teilweise gelockert. Manches ist heute nicht mehr zwingend ein Hindernis.

Unbefristete Mietverträge sind eine deutsche Besonderheit. In anderen Ländern, zum Beispiel Spanien, Portugal und Italien, enden Verträge häufig mit Ablauf einer bestimmten Zeit. Der Vermieter kann dann einfach nicht verlängern – und vielleicht selbst einziehen.

Thomas Hannemann, Rechtsanwalt in Karlsruhe und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Mietrecht und Immobilien im Deutschen Anwaltverein, sagt: «In Deutschland bedarf die ordentliche, fristgerechte Kündigung dagegen eines berechtigten Interesses. Der Hauptfall ist dabei der Eigenbedarf.»

Der Mieter muss wissen, warum er ausziehen soll

Die Eigenbedarfskündigung ist gesetzlich geregelt. Zum Beispiel muss im Kündigungsschreiben an den Mieter stehen, wer an seiner Stelle einziehen soll und warum. Diese Erläuterung muss ausführlich und nachvollziehbar sein. Den reinen Gesetzestext zu zitieren genügt nicht. «Der Mieter muss anhand der Schilderung prüfen können, ob er sich auf die Suche nach einer neuen Wohnung machen muss», erläutert Hannemann.

Doch die Anforderungen an den Eigenbedarf hat der BGH schrittweise gesenkt. Unter anderem wird die beabsichtigte Nutzung als Ferien- und Zweitwohnung für nur wenige Wochen im Jahr als Begründung akzeptiert. Wer die vermietete Bleibe als Domizil für gelegentliche Besuche in Oper, Museum oder Fußballstadion braucht, kann sich ebenfalls auf Eigenbedarf berufen.

«Dass ich die Wohnung sporadisch nutze, spricht nicht mehr gegen Eigenbedarf», beschreibt Hannemann die neue Linie. Kündigungsgrund kann auch sein, dass ein Kind in ein Haus oder eine große Wohnung einziehen will, um dort eine Wohngemeinschaft zu gründen.

Mieter können der Kündigung widersprechen

Mieter können sich mit einem Widerspruch gegen die Kündigung wehren. Dann geht die Sache in der Regel vor Gericht. Hochrechnungen des Deutschen Mieterbunds zufolge haben deutsche Gerichte im Jahr 2017 rund 13.400 Fälle von Eigenbedarfskündigungen entschieden. Das sind fast sechs Prozent der Mietrechtsurteile.

Wie sehr sich Mieter mit ihrem Widerspruch beeilen müssen, hat auch der Vermieter in der Hand: Hat er in seinem Schreiben auf die Widerspruchsmöglichkeit hingewiesen, muss der Mieter diese bis spätestens zwei Monate vor Ablauf der Kündigungsfrist ausüben.

Anders ist es, wenn der Eigentümer nicht rechtzeitig vor Ablauf der Widerspruchsfrist auf die Möglichkeit des Widerspruchs sowie auf dessen Form und Frist hingewiesen hat. Dann reicht es, wenn der Mieter sein Nein vor Gericht zu Protokoll gibt: «In der ersten mündlichen Verhandlung über die Kündigung», sagt Ulrich Ropertz vom Deutschen Mieterbund in Berlin.

Zur Abwehr des Rauswurfs berufen sich Mieter vielfach auf die sogenannte Sozial- oder Härtefallklausel (Paragraf 574 des Bürgerlichen Gesetzbuchs BGB). Zu den Härtegründen gehören Alter, Krankheit, Schwangerschaft, Mietdauer, Verwurzelung im Umfeld oder kurz bevorstehende Prüfungen.

Die Gerichte schauen bei Argumenten genau hin

Ropertz zufolge sollten Mieter gut überlegen, welchen Grund sie nennen: «Das Gericht prüft nach.» Der BGH hat die Amts- und Landgerichte zum genauen Nachsehen ermahnt (Az.:
VIII ZR 180/18 und
VIII ZR 167/17). Sie müssen in jedem Einzelfall die gleichberechtigten Interessen beider Seiten abwägen.

Nach Ansicht des BGH kann es demnach zwar ein Härtegrund sein, keine angemessene neue Wohnung zu finden. Zuvor muss der Mieter jedoch beweisen, dass er ernsthaft und intensiv gesucht hat: etwa mit Hilfe von Freunden, Familie, Ämtern, Zeitungsannoncen, Internet. Der pauschale Hinweis auf Wohnungsknappheit zieht nicht.

Eine Ersatzwohnung gilt dem BGH zufolge als angemessen, wenn sie «den Bedürfnissen des Mieters entspricht und für ihn finanziell tragbar ist», erläutert der Düsseldorfer Rechtsanwalt Rainer Burbulla. Sie darf kleiner und etwas teurer sein sowie in einer anderen Gegend liegen. Was angemessen ist, bestimmt das jeweilige Gericht.

Krankheit schützt nicht

Generell schützen Alter, lange Wohndauer und Krankheit nicht vor einem erzwungenen Umzug. Im Zweifelsfall klären die Gerichte mithilfe ärztlicher Gutachten, ob einem kranken Mieter oder seinen kranken Angehörigen der Wohnungswechsel zugemutet werden kann. Ein einfaches ärztliches Attest reicht nicht mehr zur Begründung einer Härte, wenn der Mieter eine Verschlechterung seiner Gesundheit wegen des Umzugs anführt – anders als in der Vergangenheit üblich.

«Das Verfahren dient der Neutralität», betont Julia Wagner, Juristin des Eigentümerverbands Haus & Grund Deutschland in Berlin. Gleichzeitig dauere ein Prozess um Eigenbedarfskündigung nun meistens länger und werde teurer. Die Kosten des Sachverständigen zahlt meistens der Verlierer. Bis zum Urteil können nach Wagners Erfahrung ein oder zwei Jahre vergehen.

Sieht das Gericht ein schützenswertes Interesse des Mieters, in der Wohnung zu bleiben, verlängert es das Mietverhältnis. Die Richter legen fest, für wie lange. Die Frist endet jedoch spätestens, wenn die Härte wegfällt. Gerichte können regelmäßig überprüfen lassen, dass dies noch nicht geschehen ist. Die Eigenbedarfskündigung ist also nicht für immer aus der Welt.


(dpa/tmn)

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