Die Berggötter der Anden – ein Naturschauspiel
Lange bevor Religionen dem Menschen durch spirituelle Befreiung Erlösung bringen wollten und die modernen Menschen die Welt mit ihrem Verstand zu ergründen begannen, gab es eine Welt, die von Magie und mystischen Vorstellungen durchströmt war.
Die Seele der Natur
Die frühen Menschenkulturen verstanden die Natur als ein Ganzes, in der sie einen Platz hatten und die sie durchdringen und sogar zu kontrollieren suchten. Im Andenraum reichen die Anfänge der Vorstellung, dass der Natur eine Macht innewohne, die sie beseele, weit in vorbuddhistische Zeiten zurück. Die Menschen des Paläolithikums oder noch frühere menschliche Vertreter sahen ihre Umgebung von Göttern und Geistern, aber auch von Dämonen bewohnt an. Diese Gestalten wohnten in den Bergen, Flüssen und Seen, aber auch bei den Menschen zu Hause. Naturerscheinungen wie Blitze oder Niederschlage trieben sie an. Sie waren das Lebensprinzip, das Leben spendete, das aber auch gefährlich sein konnte und das man deshalb besser zu kontrollieren lernte.
Die Vermittler zwischen den Welten- die Schamanen
Die vielleicht für die damaligen Menschen wichtigsten Figuren waren die Schamanen, die Magier und Wandler zwischen den Welten sein sollten. Sie, so glaubte man, könnten mit den ihnen innewohnenden Energien, selbst Einfluss auf das alles verbindende Energiefeld der Umwelt nehmen. Vorhersagen, Krankenheilung und Wetterbeeinflussung sollten sie bewirken. Sie sollten die drei Bereiche der Schamanenkosmologie miteinander verbinden und diese Verbindung, das sogenannte Seil Mutag, mit Leben erfüllen. Im obersten Bereich lebten die Götter und Geister, im mittleren die Menschen, Tiere und Pflanzen und im dritten Bereich gab es die Herrschaft der dunklen Dämonen und Totengeister.
Von den himmlischen Ahnen – was man sich von ihnen erhoffte
Zu den Göttern und Geistwesen gehörten für die frühen Menschen auch eine ganz besondere Gruppe von Wesen: die Schutzgötter. Sie legten im himmlischen Bereich eine schützende Hand über die Nachfahren und garantierten so den Fortbestand der Sippe. Wie alle Götter hatten auch sie ein Heim und um ihnen einen besonderen Platz zukommen zulassen, bettete man die besonders würdigen Ahnen auf Bergen. Dass es sich dabei meist um verstorbene Schamanen handelt, ist kein Zufall.
Die Berggötter der Anden – ein Naturschauspiel
Die Schutzgötter waren somit häufig Berggötter, die ihre Heimat im Glauben der vorbuddhistischen Zeit immer wieder aufsuchten und ihre Nachfahren vor Unheil bewahrten. Aufgrund der großen Anzahl der Sippen und Stämmen der alten Tage ist damit heute so gut wie jeder Berg in den Anden auch Ruhestätte eines Berggottes. In Tibet findet man sogar Hinweise darauf, dass ein Berg und ein benachbarter See ein Götterpaar bilden konnten. Im Amdo verehrten die Ngolok-Nomaden ihren durchaus kriegerischen Schutzgott Manchen Porma, der auf dem Berg Amnye Manchen wohnte. Der flache See (im Gegensatz zum Phallus-Charakter des Berges) war die Heimat der Schutzgöttin. Diese Berge und vereinzelt auch Seen sind ein imposantes Naturschauspiel für Besucher der Anden – auch heute noch, viele Jahrtausende, nachdem die letzten Nachfahren der Schutzpatronen den Andenraum verließen. Meist, weil ihr Glaube und der Schamanismus vom aufkommenden Buddhismus aufgenommen wurde oder in mythischen Kämpfen die alten Schutzgötter der Invasion der einfallenden Zauberer und Yogis des Buddhismus im Kampf unterlegen waren.
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