Die Angst vor dem Rechtsruck im Kinderzimmer
Mainz – Glatze, Springerstiefel, grauenhafte Rockmusik: Wer das Wort «Nazi» oder «Rechtsextremer» hört, hat häufig noch dieses Bild vor Augen – dabei ist es längst überholt.
Das macht es kompliziert für besorgte Eltern. Denn rechte Rattenfänger sind nicht verschwunden, nur besser versteckt, und das oft im Internet. «Dort, wo sich Jugendliche versammeln, tauchen über kurz oder lang auch rechtsextreme Communitys und Inhalte auf», sagt Michael Hebeisen, Fachreferent für Politischen Extremismus bei Jugendschutz.net.
Müssen Eltern also Angst haben, dass ihr Kind still und heimlich vor Smartphone oder PC nach rechts abrutscht? Vom Musterschüler zum Nazi in drei Mausklicks? «Grundsätzlich besteht tatsächlich die Gefahr, dass sich Jugendliche und junge Menschen radikalisieren, auch im Internet – und zunächst unabhängig von der politischen Richtung», sagt Harald Schmidt, Geschäftsführer der Polizeilichen Kriminalprävention der Länder und des Bundes.
Offen für neue Weltanschauungen – auch von rechts
Allerdings ist eine Radikalisierung ein Prozess – kein Schalter im Kopf, der einfach umgelegt wird. «Wir reden hier vor allem über Jugendliche ab etwa 13 Jahren aufwärts», sagt Hebeisen. «Die sind ganz generell in einer Umbruchphase und damit auch offen für neue Weltanschauungen.» Das könnten auch rechtsextreme Ansichten sein. Und aus diesen bloßen Ansichten kann irgendwann sogar eine Radikalisierung werden – in Einzelfällen. «Ganz viele machen diesen Schritt aber auch nicht.»
Allein das Internet für ein solches Abrutschen verantwortlich zu machen, greift in aller Regel zu kurz, sagt Hebeisen. Das Phänomen des einsamen Wolfs, der sich isoliert und in aller Stille radikalisiert, sei – wenn es überhaupt existiert – extrem selten.
«Damit Jugendliche wirklich rechtsextreme Ansichten entwickeln, müssen sie nicht nur das entsprechende Angebot bekommen – sie müssen dann auch darin bestätigt werden», sagt Hebeisen. Bei diesen beiden Schritten, beim Angebot und bei der Bestätigung, kann das Internet jeweils aber durchaus eine Rolle spielen.
Nicht jeder Nazi trägt ein Hakenkreuz
Entsprechende Angebote finden sich fast überall: Nazis und Rechte gibt es auf den großen Plattformen wie Facebook und Twitter ebenso wie an spezielleren Orten: Erst Mitte Dezember 2019 sperrte die Spiele-Plattform Steam Nutzer und Gruppen mit einschlägigen Namen und verfassungsfeindlichen Symbolen wie dem Hakenkreuz.
Ein weiterer Zugang zum rechtsextremen Kaninchenbau können Influencer sein. Das sind Hip-Hop- und Youtube-Stars ebenso wie Streamer. Diese führen auf Portalen wie Twitch eigentlich Computerspiele vor, sondern dabei aber auch mal rechte Parolen ab – oder flirten zumindest damit.
Ist der Jugendliche einmal in rechtsextremen Strukturen vernetzt, droht der Filterblasen-Effekt: Das Vorurteil wird zur selbsterfüllenden Prophezeiung. «Das kann tatsächlich eine verschobene Wahrnehmung der Realität auslösen, weil ich zum Beispiel nur noch Nachrichten über Probleme mit Ausländern erhalte», sagt Schmidt. «So lange, bis ich tatsächlich glaube, dass das eine riesige Bedrohung ist, was ja definitiv nicht der Fall ist.»
Kindern den Rücken stärken
Für Eltern ist es nicht ganz einfach, solche Entwicklungen zu erkennen. Wer seinen Kindern zuhört, sollte einen Rechtsruck aber mitbekommen, sagt Schmidt. «Es ist einfach wichtig, dass Eltern mit ihren Kindern im Dialog bleiben», rät er.
«Eltern müssen sich für die Lebensrealitäten ihrer Kinder interessieren, das gilt auch und gerade für das Internet», ergänzt Hebeisen. Damit allein sei es aber noch nicht getan. Denn Rolle der Eltern ist es gerade bei Jugendlichen gar nicht so sehr, sie vor allem Bösen abzuschirmen. Das sei auch gar nicht nötig, erklärt der Experte: «Jugendliche bewegen sich im Netz viel souveräner als ältere Generationen. Grundsätzlich sind sie sehr gut in der Lage, rechtsextremistische Inhalte zu erkennen.»
Eltern sollten ihren Kindern aber den Rücken stärken, damit sie gut gegenhalten können. «Dass man also die Zivilcourage, die man im realen Leben bei einem rechtsextremen Spruch in der Klasse zeigen würde, auch im Internet zeigt», erklärt Hebeisen. Ziel sei kein Diskurs mit Rassisten. «Aber es geht darum, so etwas nicht unwidersprochen zu lassen.»
(dpa/tmn)