Der Duft des Sommers weckt und prägt Erinnerungen
Berlin – Für die einen ist es der Duft, der nach einem warmen Sommerregen vom Straßenasphalt aufsteigt und Petrichor genannt wird. Für den anderen ist es der Großstadt-Mix aus Deo und Schweiß in der U-Bahn.
Und für die nächsten ist es vielleicht sonnengebräunte Haut plus Sonnenmilch und Chlorgeruch, der vom Freibadbecken herüberzieht: So, ja genau so, riecht der Sommer.
«Für mich ist es vor allem der Geruch von frisch gemähtem Rasen, aber auch von heißem Teer, mit dem damals in unserem Dorf die Straßen geteert wurden», erinnert sich Prof. Hanns Hatt an die Sommerdüfte seiner Kindheit am Tegernsee in Oberbayern.
Heute ist Hatt vielfach ausgezeichneter Zellphysiologe an der Ruhr-Universität in Bochum und einer der renommiertesten Geruchsforscher weltweit – und bestätigt: Das, was wir als Sommergeruch abspeichern, ist von unserem individuellen Erleben und unserer Lebensumgebung geprägt und tief in der unbewussten Erinnerung verwurzelt. Denn: Gerüche dringen sofort und ohne große Umwege in einen für Emotionen wichtigen Teil des Gehirns, das limbische System. Riechen wir sie wieder, kehren die Erinnerungen zurück.
Wissenschaftler nennen das den «Madeleine-Moment»: Was Marcel Proust in seinem berühmten Roman «Auf der Suche nach der verlorenen Zeit» beschreibt, als sein Held ein Stück Madeleine-Gebäck in Lindenblütentee taucht und durch die spezielle Melange aus Duft und Geschmack von Kindheitserinnerungen überflutet wird, passiert im Grunde uns allen. «Wie wir das jedoch für uns bewerten, hängt davon ab, ob angenehme oder unangenehme Situationen damit verknüpft sind», sagt Hatt.
Deshalb können auch Schweiß, auf dem Grill angebrannte Würstchen oder vom heißen Asphalt verbrannte Reifen positive Gefühle wecken. «Das sind erlernte Prozesse. Wenn wir Düfte mehrmals hintereinander mit bestimmten Situationen und Emotionen verbinden, dann riecht genau das für uns nach Sommer», sagt Hatt. Neben dem Kindheitssommergeruch kann es dann auch andere, später erlernte Sommergerüche geben – etwa, wenn man irgendwann vom Dorf in die Stadt zieht.
Können wir im Sommer denn auch intensiver riechen? «Die Nase ist bei Wärme etwas besser durchblutet, ja, aber viel wichtiger ist die Tatsache, dass bei wärmeren Temperaturen mehr Duftmoleküle in der Umwelt freigesetzt werden», erläutert Hatt.
An dieser Stelle kommt dann auch der Sommerregen ins Spiel. «Im Regen selbst sind nicht viele Duftmoleküle», betont Hatt. Aber das Wasser löst die zahlreich vorhandenen Duftmoleküle auf, so dass man sie intensiver wahrnehmen kann. Pflanzenausdünstungen, der modrig-erdige Duft von Bodenbakterien und Steinstaub gehören dazu.
Hinzu kommt: Nicht nur die individuellen Geruchserlebnisse, sondern auch der Kulturraum ist wichtig für das, was Menschen mit dem typischen Duft des Sommers verbinden. Denn: In Afrika oder Asien riecht der Sommer anders als in Mitteleuropa.
Das bestätigt auch Experte Marc vom Ende. Er arbeitet als Parfümeur für das Unternehmen Symrise und ist dem ultimativen Sommerduft sozusagen auch hauptberuflich auf der Spur.
«Es gibt unterschiedliche Kulturen und deshalb entsprechende Vorlieben, das ist klar. Dennoch guckt die Welt hier viel auf Europa und vor allem auf Frankreich.» Für den Parfümeur heißt das: «Sommerdüfte riechen leicht und blumig. In den letzten Jahren auch mehr mediterran geprägt, mit einer fruchtigen Note. Nach Citrus oder Bergamotte.»
Auch in der Parfüm-Welt werde hier und da versucht, den «Strandeffekt» zu erzielen – Menschen in der Sonne, Sand, Meer und Wind. Nicht so einfach. «Das Parfüm soll ja nicht nach Sonnencreme riechen, sondern nach gebräunter Haut.» Auch bestimmte sommerliche Grünnoten und eine gewisse Humidität versuchen Duftkreateure in die Bouquets solcher Sommerparfüms einzuflechten. Ein kompliziertes Unterfangen, das feine Nasen und vor allem jahrelanges Training erfordere, berichtet vom Ende.
Und letztlich: Gegen das frisch gemähte Gras im Garten der Großeltern oder den Chlor-Pommes-Geruch des Freibads, in dem man sich zum ersten Mal verliebt hat, zieht ein solches Parfüm sowieso den Kürzeren.
(dpa)