Das neue Leben des Benjamin Köhler
Berlin – Vorsichtig balanciert Benjamin Köhler zwei schwer beladene Teller mit Waffeln, Vanilleeis, Sahne und heißen Kirschen.
Mit konzentriertem Blick und breitem Lächeln unter dem schwarzen Vollbart serviert der 38-Jährige den beiden älteren Damen in der hinteren Ecke des Eiscafés «La Luna» zweimal «Waffel Classic». Nur zwei Trikots und zwei Bilder weisen darauf ein, dass hier ein Mann mit außergewöhnlicher Vergangenheit zwischen den Tischen im weißen Hemd herumwuselt: «1. FC Union Berlin Köhler» mit der Nummer 7 ist schwarz auf weiß zu lesen.
In 309 Bundesliga- und Zweitligaspielen stand Köhler auf dem Platz, seine Rückkehr nach überstandener Krebserkrankung rührte die Fußball-Nation. Gut ein Jahr nach Ende seiner bemerkenswerten Karriere hat für den gebürtigen Berliner nun in der Heimatstadt ein neues Leben als Inhaber eines Eiscafés begonnen. «Mir gingen viele Sachen durch den Kopf», berichtet er über seine Pläne für die Zeit nach der aktiven Laufbahn. «Zuerst habe ich an eine Shisha-Bar gedacht. Da bin ich von abgekommen, weil das schon eher im Nachtleben spielt. Und zu einer Familie passt Nachtleben nicht so.»
Seine einjährige Tochter Mavie rutscht an diesem Nachmittag glucksend über den Boden der Mall, die Ende Oktober nahe der Mercedes-Benz-Arena eröffnet wurde. Während sich das Eiscafé langsam füllt, löst Köhler seine Frau Marina hinter der Theke ab.
Die Rolle als Betreiber des Franchise-Cafés ist für den Ex-Profi komplettes Neuland. Die ersten Tage enden erst weit nach Mitternacht, täglich prüft er, ob genug Ware vorhanden ist, koordiniert Mitarbeiter, erstellt Dienstpläne, erledigt auch Schreibkram. «Und eigentlich hasse ich Briefe», gesteht er leise lächelnd und äußert sich geerdet im Rückblick auf sein früheres Leben. «Wer sagt, Profifußball ist stressig, der soll mal ins normale Berufsleben gehen. Klar hast du da anderen Druck, aber du hast auch sehr viel Freizeit, da ist ja kein Stress. Das sind zwei verschiedene Welten.»
Als Fußballprofi war Köhler ein feiner Techniker, kam über die linke Seite, schlug gefürchtete Flanken. Nach neun Jahren bei Eintracht Frankfurt – dem Club, dessen Trikot heute auch im «La Luna» hängt – und einem kurzen Aufenthalt beim 1. FC Kaiserslautern wechselte er 2013 zu Union Berlin. Im Februar 2015 kam der Schock: ein bösartiger Tumor des Lymphsystems.
Als der schwer erkrankte Köhler wenig später mit seiner Familie auf der Tribüne sitzt, stoppen Spieler die laufende Zweitligapartie, streifen sich Trikots mit Köhlers Nummer 7 über, entrollen ein Banner: «Eisern bleiben Benny».
Köhler schafft nach Chemotherapien «mit bewundernswerter Energie» (Unions damaliger Sportchef Helmut Schulte) wieder die Rückkehr auf den Fußballplatz, wird von den Fans gefeiert. «Ich habe gar keine Probleme mehr und gehe jedes halbe Jahr zur Vorsorgeuntersuchung. Die Abstände werden immer größer», sagt er über seinen derzeitigen Gesundheitszustand. «Man muss vom Kopf her abschließen, es kann immer wieder kommen – aber ich mache mir da keine Gedanken.»
Köhler ist so fit, dass er auch weiter noch zum Spaß kickt, beim Traditionsmasters vor knapp einem Jahr erhält er den «Preis für besondere Leistungen». Auch dieses Jahr wird er wieder mit alten Union-Kumpels in der Halle auflaufen. «Früher wollte man so lange spielen wie möglich, jetzt reichen ein, zwei Minuten», sagt er augenzwinkernd.
Sein Café, für das sein Berater den Anstoß gab, liegt nun zwischen einem Geschenkeladen und einer Lotto-Annahmestelle. Dass Ex-Fußballer einen Kiosk betreiben, ist seit den 70er Jahren aus der Mode gekommen – doch auch Köhler muss die Frage vieler ehemaliger Profis beantworten: «Was mache ich nach der Karriere? Die meisten haben das Privileg, erstmal ein paar Jahre nichts zu machen, weil sie gut verdient haben», sagt er. «Wenn du aber mehrere Jahre nichts machst, wird das Geld auch nicht mehr. Bei mir hat es mit dem Eiscafé gepasst, meine Frau ist Italienerin. Und ich bin der Typ, der sagt: „Komm, dann machen wir das. Mal gucken, ob es funktioniert.“ Wenn nicht, dann ist es eben so.»
Einen beruflichen Traum hat der neue Eis-Fachmann dabei noch: «Wir hatten auch überlegt, eine Filiale in Dubai zu eröffnen», sagt er über sein Lieblingsurlaubsziel. «Aber das ist noch weit weg.» Irgendwann könnte dann aber auch am Persischen Golf ein Union-Trikot mit der Nummer 7 hängen.
(dpa)