Die Ängste der Deutschen in der Krise

Berlin – Wie viel Angst macht die Corona-Krise den Bundesbürgern? Die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage für die R+V-Versicherung haben Politologen überrascht: Bis auf die stark gestiegene Angst vor einer Talfahrt der Wirtschaft bleiben die Deutschen mit Blick auf ihre Gesundheit und ihren Job im Moment eher gelassen.

«Sie wirken erstaunlich sorglos. Oder cool», sagt Manfred Schmidt, Politikwissenschaftler an der Universität Heidelberg. Selbst mit dem Krisenmanagement der Politik sind viele Befragte recht zufrieden – zumindest für deutsche Verhältnisse.

Schmidt fühlt den Bundesbürgern schon seit 15 Jahren den Puls. Regelmäßig wertet er für die Versicherung die repräsentative Umfrage «Die Ängste der Deutschen» aus, die es seit fast 30 Jahren gibt. Sie gilt Wissenschaftlern inzwischen als Seismograph für Befindlichkeiten rund um Politik, Wirtschaft, Umwelt, Familie, Gesundheit und private Sorgen.

Ihr Charme ist der Langzeit-Blick, da viele Fragen unverändert bleiben und nur wenige neue je nach zeitgeschichtlicher Entwicklung dazukommen. In den vergangenen Jahren war das zum Beispiel die Frage nach Terrorangst. Nun kommt die Corona-Krise in einer Sonderumfrage dazu.

Dafür hat das Infocenter der Versicherung vom 31. März bis 2. April 1075 Menschen repräsentativ vier Fragen online gestellt: Steigt durch die hohen Infektionsraten die Angst vor einer schweren Erkrankung? Befürchten jetzt mehr Menschen eine Rezession? Wie groß ist die Angst vor dem Verlust des eigenen Jobs? Und wie beurteilen die Deutschen die Arbeit der Politiker? «Uns hat in dieser Ausnahmesituation besonders der Vergleich zum vergangenen Sommer interessiert – zu einer Zeit, in der sich kaum jemand eine solche Pandemie hätte vorstellen können» sagt Brigitte Römstedt, Leiterin des R+V-Infocenters. Die Ergebnisse im Einzelnen:

Angst vor dem Virus:

Wer in Deutschland brennende Sorge um die eigene Gesundheit vermutet, liegt falsch. Im Vergleich zu 2019 stieg die Angst vor einer schweren Erkrankung lediglich moderat um 6 Punkte von 35 auf 41 Prozent. Das ist der zweitniedrigste Wert seit 1992, den niedrigsten gab es im vergangenen Jahr. «Das ist eine sensationelle Nachricht. Das hat mich echt erstaunt», sagt Forscher Schmidt. «Da schwingt eine eigentümliche Vermutung mit, dass man selbst gesundheitlich gut über die Runden kommt und das Risiko irgendwo anders ist.» Der Wissenschaftler schränkt allerdings ein, dass die Altersstruktur der Befragten auch eine Rolle gespielt haben könnte. «Das Risiko ist bei den Älteren ja wahrscheinlich höher – hier aber wurde repräsentativ in allen Altersgruppen gefragt.» Bemerkenswert sei jedoch, dass die Sorge in allen Altersgruppen in etwa gleich hoch sei, ergänzt Römstedt. Die Jüngeren seien also nicht sorgloser als die Älteren.

Angst vor Rezession:

Die Sorge vor einer wirtschaftlichen Talfahrt schnellt dagegen im Vergleich zu 2019 um spektakuläre 23 Prozentpunkte auf nun 58 Prozent steil nach oben. Das ist der höchste Wert seit der Eurokrise vor zehn Jahren, der allerdings mit 67 Prozent noch darüber lag. Schmidt hält die neue Sorge aber nicht für ein typisch deutsches Angsthasen-Syndrom, sondern für realistisch. «Wir werden einen schweren Wirtschaftseinbruch haben. Diese Wirtschaftskrise wird wahrscheinlich erheblich tiefer gehen als die Finanzmarktkrise von 2008 und 2009.»

Angst vor Arbeitslosigkeit:

Dass die Sorge vor einer Rezession nicht voll auf die Sorge um den eigenen Job durchschlägt, hat Forscher Schmidt verblüfft. Mit 24 Prozent fürchtet das gerade mal ein Viertel der Befragten – gleich viele wie 2019 und insgesamt so wenige wie in 30 Jahren nicht. Für Schmidt hat das viel damit zu tun, dass Maßnahmen wie das Kurzarbeitergeld und andere Finanzspritzen in ungekannter Größenordnung einen Nerv treffen: Das ausgeprägte Sicherheitsbedürfnis der Deutschen, das sie auch von anderen Nationen unterscheidet. Die Stabilisierungsmaßnahmen würden von der großen Masse der Bevölkerung registriert und als hilfreich und beruhigend eingestuft.

«Und nicht alle Beschäftigen werden getroffen», schränkt Schmidt ein. Im Gesundheitsbereich und im öffentlichen Sektor schlage diese Krise zum Beispiel nicht mit Wucht ein. Es sei dennoch nicht auszuschließen, dass die Zahlen unterschätzt seien – auch, weil nur 1000 Menschen befragt wurden. Je jünger die Befragten waren, desto besorgter waren sie um ihre Jobs, ergänzt Römstedt. Bei Menschen unter 30 lag diese Angst mit 36 Prozent am höchsten.

Noten für die Politik:

Hier sind die Deutschen traditionell gnadenlos. In den vergangenen zehn Jahren hielt fast die Hälfte der Befragten Politiker grundsätzlich für überfordert. Während der Finanzkrise 2010 (62 Prozent) und der Flüchtlingskrise 2016 (65 Prozent) waren es fast zwei Drittel. Im Vergleich dazu gibt es für Wissenschaftler Schmidt in der Corona-Krise ein nahezu mildes Urteil. «Nur» 46 Prozent halten die Politiker nun für überfordert – das zählt zu den niedrigsten Werten der vergangenen zehn Jahre. «Für einen Großteil der Bevölkerung macht die Regierung einen ordentlichen Job», folgert Schmidt. Und die Medien unterstützen die positive Selbstdarstellung des Krisenmanagements der Politik. «Ich hätte die Noten sogar noch weniger streng erwartet.»


(dpa)

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