Experte über SUVs: «Man muss genauer hinschauen»

Frankfurt/Main – SUVs boomen. Zugleich aber bekommen die sportiven Kolosse in Zeiten von Flugscham und Klimademos ein Imageproblem. Und nach einem schweren SUV-Unfall mit vier Toten in Berlin gibt es nun auch eine Debatte darüber, ob die Nutzung solcher Sportgeländewagen in Innenstädten begrenzt werden sollte.

Können neue Hybrid- und Elektroversionen das SUV grün machen? Oder wird die Fahrzeugklasse zurecht als gefährlich und umweltschädlich gebrandmarkt? Der Versuch einer Klärung im Gespräch mit Branchenexperte Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach.

Der Autoindustrie bläst auf dieser IAA sehr viel Gegenwind entgegen, speziell gilt das für die SUVs. Zunächst einmal: Sind solche Autos gefährlicher als andere Fahrzeuge?

Stefan Bratzel: So pauschal kann man das aus meiner Sicht nicht sagen. Die hohe Masse von schweren, leistungsstarken SUVs kann bei einem Unfall schon einen Unterschied machen, vor allem wenn ihre Fahrer sie voll ausfahren. Das ist dann fast wie bei einem Lkw, der Ihnen hinten draufknallt. Aber das wäre ja auch etwa bei schweren Limousinen der Fall. Davon muss man kleine, kompakte SUVs ausklammern, für die gilt das nicht, vor allem, wenn sie normal bewegt werden. Und grundsätzlich sind SUVs unfalltechnisch nicht besonders auffällig.

Und wie ist das in der Stadt?

Bratzel: Natürlich könnten schwerere Autos einen etwas längeren Bremsweg haben, doch auch das muss man selektiv sehen. Neue SUVs haben auch oft modernste Technik an Bord. So dürfte ein alter VW Golf ohne Assistenzsysteme wesentlich später zum Stillstand kommen als das moderne Kompakt-SUV Tiguan mit allen Assistenz- und Sicherheitssystemen. Aber davon abgesehen: In der Stadt gilt Tempo 50. Und bei dieser Geschwindigkeit kann eben auch schon ein normaler Pkw verheerenden Schaden anrichten, wenn er in die Fußgänger fährt.

Für Klimaschützer scheinen SUVs oft ein besonderes Feindbild darzustellen. Wieso ist das eigentlich so?

Bratzel: SUVs – und damit meint man meist die großen – sind Symbole der alten Automobilwelt, die auf Geschwindigkeit, Leistungsstärke und von der äußeren Form her auf Größe abgehoben hat. Daher ist auch etwas dran, dass diese Fahrzeuge aus Umweltgesichtspunkten natürlich nicht gerade die Vorzeigefahrzeugform sind.

Also ist das SUV zurecht der Teufel auf vier Rädern? Oder gibt es auch SUV-Engel?

Bratzel: SUV-Engel wäre jetzt ein bisschen übertrieben. Aber SUV ist nicht gleich SUV. Bei diesen großen SUVs kann man durchaus die Frage stellen, ob sie den Umweltkriterien wirklich gerecht werden. Gerade, wenn man sie in Städten benutzt, was ja meistens der Fall ist. Aber für kleine, kompakte SUVs gilt aus meiner Sicht der Vorwurf deutlich weniger. Wenn das Neufahrzeuge sind, haben die auch einen vergleichsweise geringen Verbrauch. Und wenn die jetzt nicht hochgezüchtet sind, ist auch deren Leistung nicht so hoch.

Da muss man differenzieren, bei den kleinen und kompakten ist der Angriffspunkt nicht so stark angebracht. Bei den großen kann man durchaus anderer Ansicht sein.

Obgleich auch die kleinen SUVs wie Geländewagen aussehen. Werde ich nicht schon allein durch diese Optik angreifbar, wenn mich mein umweltbewusster Nachbar auf mein kleines SUV anspricht?

Bratzel: Ja, ein Stück weit ist das schon der Fall. Dann wird man quasi in die Gesamthaftung genommen, weil es tatsächlich erkennbar eine SUV-Fahrzeugform ist. Aber auch hier muss man die Kirche im Dorf lassen. Denn die Verbräuche und CO-Werte sind vielleicht geringer als bei der Limousine, die der Nachbar hat und die vielleicht auch noch ein paar Jahre älter ist. Hier muss man genauer hinschauen.

Sind besonders sportliche SUVs ein Widerspruch in sich? Da gibt es ja Modelle mit 600 PS, die mehr als 300 km/h fahren können. Brockengroß und extrem schnell: eine besonders missliebige Kombination in den Augen vieler Kritiker?

Bratzel: Ja, denn es spricht schon einiges dafür, dass diese Fahrzeuge eigentlich sinnwidrig sind. Sie werden eben nicht im Gelände eingesetzt, sind aber sportliche Geländewagen mit enormer Leistung und werden vor allem auch in Städten bewegt. Das ist schon ein gewisser Widerspruch, der aber – und das muss man auch sagen – bei vielen Käufern unheimlich gut ankommt. Der Boom lässt nicht nach.

Woran liegt das?

Bratzel: Es ist eine vergleichsweise neue Fahrzeugform. Was vielleicht auch gesellschaftlich ein Punkt ist, der auf Resonanz stößt, ist, dass sie einen einfacheren, höheren und damit bequemen Einstieg hat. Stichwort ältere Bevölkerung, und das Durchschnittsalter der Neuwagenkäufern ist ja deutlich über 50 Jahre.

Ein anderer Punkt ist die gute Übersichtlichkeit: Man sitzt hoch, höher als andere, die Limousinen fahren, und hat einen besseren Überblick auf das Verkehrsgeschehen. Aber es hat auch noch einen psychologischen Effekt eines Kokons, eine Panzerung sozusagen, eine Art des sich Abgrenzens gegenüber der unsicheren Umwelt. Diese Punkte werden auch noch dadurch gefördert, dass sich diese großen Fahrzeuge unheimlich leicht, elegant und sportlich bewegen lassen.

Das heißt, für die jeweiligen Fahrer gibt es gar keinen Widerspruch, denn sie können auch die schweren Modelle sehr sportiv fahren – und die Masse fällt quasi nicht mehr ins Gewicht?

Bratzel: Exakt. Früher brauchte man für Geländewagen ja richtig Kraft, um die Fahrzeuge, teils ohne Servolenkung, bewegen zu können. Heute ist ja genau das Gegenteil der Fall. Das sind heute tolle, sportliche Wagen, die einen hohen Komfort bieten und das Aussehen eines Geländewagens haben.

Die Industrie bringt immer mehr Modelle mit Elektroantrieb auf den Markt, zum Teil ebenfalls sehr PS-stark. Machen die SUVs ohne schlechtes Gewissen möglich?

Bratzel: Ich glaube eher nicht. Man muss unterscheiden zwischen Plug-in-Hybriden bei Geländewagen und den reinen Elektrofahrzeugen.

Nicht jeder kennt den Unterschied, wo liegt der?

Bratzel: Die Plug-in-Geländewagen haben ja zwei Motoren. Und rein elektrisch fahren die real nur etwa zwischen 30 und 50 Kilometer. Für diese Reichweite kann man sie auch an der Steckdose aufladen. Neben dem E-Motor hat man noch einen normalen Verbrennungsmotor dabei.

Reine Elektro-SUVs haben keinen zusätzlichen Verbrenner an Bord, dafür eine viel größere Batterie für Normreichweiten zwischen 400 und 450 Kilometer. Gerade die deutschen Hersteller mit ihren großen und schweren Premiumfahrzeugen oder auch Hersteller wie Volvo neigen gerade bei den SUVs dazu, gerne auch Plug-in-Varianten zu installieren. Die haben ein vermeintliches Öko-Image.

Warum?

Bratzel: Weil sie einen Normverbrauch von teilweise nur 1,5 bis nur 2,5 Litern haben. Das wird in der Realität jedoch um ein Vielfaches überschritten. Auch weil, wie verschiedene Untersuchungen zeigen, diese Fahrzeuge häufig nicht regelmäßig an der Steckdose aufgeladen werden. So hat der Vorteil der rein elektrischen Reichweite, weswegen sie eigentlich auf so niedrige Normverbräuche kommen, in der Realität überhaupt keinen Bestand.

Teilweise erfährt man, dass das Ladekabel noch nicht einmal ausgepackt wird. Weil sich Leute sich nicht die Mühe machen, wegen dieser geringen elektrischen Reichweite das Fahrzeug jeden Tag aufzuladen.

Plug-in-Fahrer könnten sich doch weniger umweltschädlich verhalten, wenn sie häufiger rein elektrisch fahren, etwa auf Pendelstrecken, wenn die Reichweite ausreicht?

Bratzel: Darauf kommt es dann an, sie müssen einen Großteil ihrer Fahrstrecken elektrisch unterwegs sein. Allerdings gilt ja auch bei reinen Elektrofahrzeugen, dass deren Umweltfreundlichkeit zum großen Teil davon abhängt, wo der Strom herkommt. Es wäre auf jeden Fall besser, aber das müsste dann entsprechend kontrolliert werden.

Ansonsten hat man das Schlechte von zwei Welten: Man schleppt die Batterie und den Elektromotor noch zusätzlich mit sich rum, aber fährt vorwiegend mit dem Verbrenner. Dann hat man noch einen höheren Verbrauch als bei herkömmlichen Fahrzeugen mit Diesel- oder Benzinmotor.

Was sind beim reinen Elektro-SUV die Vor- und Nachteile?

Bratzel: Wenn man mit Ökostrom lädt, hat man auch in der Realität einen vergleichsweise geringen CO2-Ausstoß, lassen wir mal die Produktionsphase außer Acht. Das Problem der Elektro-SUVs ist, dass sie einen höheren Verbrauch an Kilowattstunden haben. Das liegt eben an der Größe der Fahrzeuge und der Aufbauform mit schlechterer Aerodynamik.

Je größer, schwerer und sportlicher, desto umweltschädlicher ist ein SUV, egal, ob als Verbrenner oder E-Auto?

Bratzel: Absolut. Ich würde allerdings eine Abstufung vom Verbrenner zum reinen E-Modell machen.

Also ein vergleichbar gebautes und gleich starkes Elektro-SUV ist schon etwas weniger umweltschädlich als das Verbrenner-Pendant?

Bratzel: Ja, man muss aber vorsichtig sein. Weniger umweltschädlich, an was machen wir das denn fest? Wir können das Kriterium CO2 nehmen, beispielsweise. Da ist es schon so, das zeigen auch die Zahlen seriöser Untersuchungen etwa des Umweltbundesamtes, dass die Produktionsphase aufgrund der hohen Energieintensität bei der Batterieherstellung CO2-intensiver ist. Als grober Daumenwert gilt, dass man circa 100.000 Kilometer fahren muss, bis man beim derzeitigen Strom-Mix in eine positive CO2-Bilanz kommt.

Beim rein elektrischen SUV fällt ja beispielsweise ebenfalls Reifenabrieb an. Und je größer es ist, desto mehr Platz beansprucht das Fahrzeug auch in der Innenstadt. Das heißt: Die Problematik großer Modelle ist auch hier vorhanden?

Bratzel: Völlig richtig, das sind verschiedene Kriterien. Große Fahrzeuge brauchen mehr Platz, haben höheren Reifenabrieb und verbrauchen mehr Energie als kleinere.

Wer als nächstes Auto dennoch ein SUV kaufen möchte – was ist zu beachten, um mit einem halbwegs grünen Gewissen fahren zu können?

Bratzel: Wenn ein SUV gewählt werden soll, dann wirklich ein kleines, kompaktes. Die sind nicht so schwer und beanspruchen weniger Raum. Dennoch bieten sie aber den Komfort des leichteren Einstiegs und den der etwas höheren Übersichtlichkeit. Man sollte darauf achten, dass der Realverbrauch möglichst niedrig ist und sich etwa in Autotests von Zeitschriften informieren.


(dpa/tmn)

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