Charles Leclerc: Der Monegasse von Start-und-Ziel
Monte Carlo – Charles Leclerc muss vier Jahre alt gewesen sein, daran kann er sich noch erinnern. Damals spielte er einmal auf dem Balkon eines Freundes in Monaco mit einem Formel-1-Spielzeugwagen, während unter ihnen die Rennautos vorbeirasten.
Es ist eine passende Anekdote für jemanden, der als waschechter Monegasse nun selber in der Königsklasse des Motorsports fährt. Der 20 Jahre alte Sauber-Pilot bestreitet nun erstmals ein Formel-1-Rennen in seiner Heimatstadt. Prägende Figuren in seinem Leben bekommen diese kostbaren Momente Leclercs aber nicht mehr mit.
«Ich bin so aufgeregt. Ich meine, ich habe auf diesen Moment gewartet, seitdem ich ein Kind bin», räumte Leclerc vor diesem für ihn so bedeutsamen sechsten Saisonrennen am Sonntag (15.10 Uhr) ein. Der Sauber-Pilot ist quasi ein Kind dieses Grand-Prix-Kurses. «Ich lebe auf Höhe der Start-Ziel-Linie, also nah an der Strecke.»
Der Rennsport ist Leclercs Leben. Das machte er seinem Vater schon früh klar. Hervé Leclerc war einmal selber Rennfahrer, in den 90ern in der Formel 3. Der Senior ahnte wohl schon früh, welche Kreativität die Sehnsucht nach der PS-Hatz in seinem Sohn hervorbrachte. «Ich sagte meinem Vater, dass es mir nicht gut geht, dann konnte ich die Schule ausfallen lassen und bin mit Jules auf die Kartstrecke in Brignoles», erzählte Leclerc einmal.
Jules, das war Jules Bianchi, der ehemalige Formel-1-Pilot. Auf dem Kartkurs zwischen Marseille und Nizza von dessen Vater Philippe gab der junge Leclerc erstmals Gas. Jules wurde zu einem engen Freund, einer Art Mentor. Im Oktober 2014 verunglückte Bianchi beim Großen Preis von Japan schwer, neun Monate später erlag er seinen Verletzungen. Ein Schock für Leclerc.
«Selbst nach seinem Unfall in Suzuka hatte ich nie den leisesten Zweifel an meiner Zukunft», betonte Leclerc. «Angst? Nein, die gibt es nicht. Ich bin mir bewusst, dass Gefahr Teil des Rennsports ist, aber wenn ich im Cockpit sitze, fühle ich nur den Adrenalistoß. Ich mag die Gefahr, ich mag das Adrenalin und ich muss Rennen fahren.»
Leclerc macht das mit Erfolg. 2016 wurde er GP3-Meister, 2017 Meister in der Formel 2. Längst ist er Teil des Ferrari-Nachwuchsprogramms. So wie Bianchi vor ihm. Doch der Tod seines Freundes war nicht der einzige brutale Verlust. Im Sommer 2017 starb Leclercs Vater nach schwerer Krankheit. Nur drei Tage später saß der Junior wieder im Auto und raste in Baku zur Pole. Auf seinen Prema-Wagen hatte Leclerc den Schriftzug «Ich liebe dich Papa» lackieren lassen.
«Für jeden ist es hart, seinen Vater zu verlieren. Ich konnte mich aber vor dem Rennwochenende nicht zerstören lassen, weil das Rennfahren alles für meinen Vater war, er war mein größter Fan», erzählte der Sohn, der sich psychologisch beraten ließ. So merkwürdig es auch klinge, räumte Leclerc ein, durch die Schicksalsschläge sei er aber «stärker» geworden und «innerhalb kurzer Zeit gewachsen».
Leclerc ist ein ungemein reifer 20-Jähriger – und ein besonders schneller dazu. «Der Hype um ihn ist absolut gerechtfertigt», meinte Ferrari-Star Sebastian Vettel. «Mein Rat an ihn ist, nicht hinzuhören, damit klarzukommen und es einfach zu genießen.»
Leclerc vermittelt nicht den gegenteiligen Eindruck. In Baku vor knapp einem Monat raste er völlig überraschend auf Platz sechs, längst gilt er als potenzieller Kandidat für das Cockpit neben Vettel. Das liegt auch deshalb nahe, weil Sauber eine Partnerschaft mit der Scuderia hat und deren Motoren bezieht.
Monaco wird nun besonders. Erstmals seit Olivier Beretta 1994 kann das Fürstentum wieder einem Lokalmatadoren zujubeln. Leclercs jüngerer Bruder Arthur wird da sein, der selbst in der französischen Formel 4 fährt. Und natürlich Fürst Albert, den Leclerc schon kennt, seitdem er sieben Jahre alt ist. «Wir echte Monegassen», sagte Leclerc, «kennen uns alle irgendwie.»
(dpa)