Wo getrennte Papas oder Mamas einen Schlafplatz finden

München – Wenn Nicolas aus Frankreich alle paar Wochen in München vor der Tür steht, flötet ihm meistens ein kindliches «Salut» entgegen. Die Kinder, die den dreifachen Familienvater da so fröhlich in seiner Landessprache begrüßen, sind allerdings nicht seine eigenen, sondern die seiner Gastfamilie.

Die der fünfköpfigen Familie Halt, die den geschiedenen 47-Jährigen alle paar Wochen kostenlos mehrere Tage bei sich wohnen lässt. Damit er seine drei eigenen Kinder sehen, mit ihnen in deren Heimatstadt Zeit verbringen und auch Alltag mit ihnen leben kann – und das, ohne sich in finanzielle Unkosten zu stürzen.

«Diese Riesengroßzügigkeit von Victoria und Tassilo ist etwas ganz Besonderes», sagt Nicolas, während er am großen Holztisch im Wohnzimmer der Gasteltern sitzt und in deren Richtung grinst. «Ohne ihre Fähigkeit, mir mit viel Herz ihre Türe aufzumachen, könnte ich meine drei Kinder unmöglich so regelmäßig sehen. Und noch dazu sind wir mittlerweile gut befreundet.» Victoria und Tassilo Halt, beide Anfang 40, nicken zustimmend, während ein paar Zimmer weiter mehrere Kinder lautstark toben.

Bundesweites Besuchsprogramm

Nicolas, der in Paris lebt, gehört zu den rund 1500 geschiedenen Elternteilen, die über das bundesweite Besuchsprogramm
«Mein Papa kommt» einen regelmäßigen Schlafplatz im Wohnort ihrer Kinder gefunden haben. Gegründet wurde das Programm 2008 von der Religionspädagogin Annette Habert, Träger ist das Sozialunternehmen Flechtwerk 2+1 aus München. «Eltern, die einen Schlafplatz suchen, melden sich auf unserer Webseite an», erklärt Habert das Prinzip. «Dann versuchen wir aus unserem Netzwerk von etwa 1450 Gastgebern einen passenden zu finden und stellen den Kontakt her.» Die Übernachtungen sind kostenlos, die Mitgliedschaft im Netzwerk kostet 12 Euro pro Monat. Der Verein lebt überwiegend von Spenden.

Auch wenn die Gastgeberkartei über die Jahre größer geworden ist, Habert und ihr Team sind stets auf der Suche nach neuen Unterkünften. «Überall, wo Kinder leben, brauchen wir Gastgeber – und das laufend.» In ihrer Kartei hat Habert Rentner, Eltern, deren Kinder gerade ausgezogen sind, Elternteile, die selbst Gastfamilien in Anspruch nehmen, aber auch Familien mit kleinen Kindern. So wie die Halts aus München.

Habert weiß, wie wichtig es für die Scheidungskinder ist, mit beiden Eltern alltägliche Dinge zu erleben. Neben den Schlafplätzen vermittelt die Pädagogin auch Spielzimmer und telefonische Erziehungsberatung. «Die wird nämlich immer nur am Wohnort des Kindes gefördert», sagt Habert. «Unter anderem geben wir Tipps zum Thema: Wie skype ich mit einem Zweijährigen?» Immer mehr Väter nutzen laut Habert auch dieses Angebot.

Kinder leben meist bei der Mutter

Dass Habert meist von Vätern spricht, kommt nicht von ungefähr: 90 Prozent in ihrem Netzwerk sind Papas. Denn noch immer lebt der weitaus größte Teil der Kinder nach der Trennung der Eltern bei der Mutter. Laut dem Statistischen Bundesamt waren rund 2,17 Millionen Mütter und nur etwa 407.000 Väter im Jahr 2018 alleinerziehend in Deutschland. Und wenn sich Eltern vor Gericht um das Sorgerecht streiten, gewinnen nach wie vor meistens die Frauen.

Im Jahr 2018 übertrugen deutsche Richter das Sorgerecht in Scheidungsverfahren in 914 Fällen auf die Mutter, in 251 Fällen auf beide Eltern gemeinsam und nur in 102 Fällen auf den Vater. Auch das geht aus Zahlen des Statistischen Bundesamtes hervor.

In «isolierten Familiensachen», in Verfahren, die nicht zeitgleich mit einer Scheidung liefen, bekam die Mutter in 10 926 Fällen das Sorgerecht, der Vater nur in 4076 Fällen. Auch bei Eltern, die nicht miteinander verheiratet sind, bestätigt sich diese Tendenz: In 3937 Fällen wurde der Mutter das Sorgerecht zugesprochen, in 2467 beiden Eltern gemeinsam und nur in 1811 Fällen dem Vater allein. «Natürlich sind die gesellschaftlichen Verhältnisse ein Grund», sagt Heinrich Schürmann vom Deutschen Familiengerichtstag.

Für Victoria und Tassilo ist das Programm die «perfekte Möglichkeit, etwas Gutes zu tun, ohne viel Zeit und Aufwand». «Ich muss einfach nur die Türe aufmachen», sagt Projektmanagerin Victoria Halt, die von dem Besuchsprogramm vor rund zwei Jahren in einer Zeitschrift gelesen hat. «Wir haben mit unserer großen Wohnung so viel Glück und Platz, da war es naheliegend, jemanden aufzunehmen, der das Angebot gut gebrauchen kann. Auf Nicolas und seine Kinder freuen uns wirklich jedes Mal.»


(dpa)

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